Ein Roadtrip durch England - Teil 3/5
Die Klimaanlage kommt langsam ins Laufen, der kalte Luftzug ist eine Wohltat. Wir steuern Newcastle an.
Newcastle
Die Klimaanlage kommt langsam ins Laufen, der kalte Luftzug ist eine Wohltat. Wir steuern Newcastle an. Über die Stadt weiß ich nicht viel, außer dass es eine Universität gibt. Eine gute Freundin von mir hat hier ein Semester verbracht. Wir überlegen, ob wir hineinfahren wollen und entscheiden uns dann dagegen. Wir sind nun genug durch Städte gelaufen und können es kaum erwarten in Richtung Natur und Stille zu kommen. Von der Autobahn fahren wir kurz vor Newcastle einmal ab, um uns den Angel of the North, den wir schon von der Fahrbahn aus erspähen konnten, aus der Nähe anzusehen. Die Statue von Antony Gormley ist schon aus der Ferne beeindruckend. Wenn man vor ihr steht, auf dem grünen Gras des Hügels, auf dem sie errichtet wurde, erschlägt sie einen mit ihren 20 m Höhe fast. Der rostfarbene Engel, der seine Flügel 54 m weit aufspannt. Jetzt sind wir im Norden Englands.
Für die Nacht finden wir einen recht großen Parkplatz, der auf der einen Seite zu einer Art Spazierweg führt, auf dem Menschen ihre Hunde laufen lassen und auf der anderen von Wohnhäusern umgeben ist. Hier bereiten wir noch entspannt etwas zum Abendessen vor, ehe wir müde von der Hitze die Türen und Augen schließen.
Was ich eingangs schrieb, dass das Übernachten im Van so ruhig sei, man die Natur atmen hört - das ist hier nicht der Fall. In dieser Nacht schlafe ich das erste Mal wirklich schlecht, bin dauernd wach und fürchte mich sogar. Der Parkplatz der in der Dämmerung recht freundlich wirkte, enttarnt sich in der Nacht als Treffpunkt für Jugendliche, Drogendealer und Leute, die ihre Autos gerne aufheulen lassen. Zumindest in meinem Kopf, denn viel kann ich nicht sehen, will ich auch gar nicht. Aber ich höre die Stimmen, ich höre die Autos und die laute Musik. Das erste Mal habe ich Angst vor einem Einbruch und versuche gleichzeitig, einfach wieder einzuschlafen. Wie ein Kind - wenn ich nichts höre, nichts sehe, dann passiert auch nichts. Und das tut es auch nicht. Sobald die Sonne am nächsten Morgen durch die Belüftungsschlitze des Vans scheint, verlassen wir diesen Ort.
Alnwick
Wir halten erst wieder an, als wir Cresswell erreichen. Den kleinen Ort haben wir am Vorabend auf der Karte, die Harrys Mutter uns vor der Reise in die Hand gedrückt hatte, entdeckt. Er trägt den gleichen Namen wie Harry, weshalb wir unbedingt herkommen wollten. Eigentlich ist es nur eine Straße, die am Meer, an Feldern und ein paar Häusern vorbei führt. Wir halten an einem kleinen Parkplatz am Meer, machen Frühstück und Tee. Die frische Meeresluft weht die Gedanken an die letzte Nacht endgültig aus unseren Köpfen. Endlich in der Natur. Hier bleiben wir auf einer Bank sitzen, können uns gar nicht satt sehen an den Wellen, die auf den Strand rollen, den Möwen, die über ihnen segeln und der Weite, der Leere. Nach der zweiten Tasse English Breakfast Tea steigen wir wieder ins Auto.
Nur eine halbe Stunde dauert die Fahrt nach Alnwick. Obwohl es noch recht früh ist, sind die engen Straßen der Kleinstadt voll. Die Burg und die Gärten ziehen viele Touristen an. Mit etwas Glück finden wir noch einen Parkplatz, auf dem man genau 2 Stunden stehen darf. Es ist mir ein Rätsel, wie man in der kurzen Zeit sowohl die Burg als auch die Gärten ansehen kann und als wir in unseren kurzen Hosen zur Besucherinformation laufen, die freundliche Frau uns erklärt, dass wir nun viel Geld dafür ausgeben können, sowohl die Gärten als auch die Burg von innen zu sehen, oder die Sparvariante zu fahren und nur eins von beiden zu sehen, entscheiden wir uns schnell für die Gärten. Ddie Burg kann man schließlich auch von außen sehen.
Wir laufen die flachen Treppenstufen hoch, die an einem künstlichen Wasserfall, der sich über mehrere Ebenen ergießt, beidseitig entlang führen. Das Wasser glitzert in der Sonne und immer wieder sorgen Fontänen für ‘Oh’s und ‘Ah’s. Oben angekommen, erstrecken sich die Gärten vor uns. Allerlei Blumen stehen in ihrem schönsten Sommerkleid, das Summen von Bienen liegt in der Luft, ein paar Schmetterlinge sitzen auf den den bunten Blüten. Fasziniert laufen wir über die vielen kleinen Wege, entdecken Pflanzen, die wir noch nie zuvor gesehen haben, schießen Fotos, über die Oma sich bestimmt freut und nehmen anschließend auf einer großen grünen Wiese, die mit Schaukeln, die eher für Riesen als für Menschen gemacht sind bestückt ist, auf genau solch einer Platz. Lassen die Beine baumeln und genießen die warmen Sonnenstrahlen im Gesicht.
Als wir die Wiese ein Stück hinunter laufen, entdecken wir den Poison Garden, der am Rande des Geländes gelegen und von einem hohen Zaun umgeben ist. Wir schließen uns der kleinen Ansammlung an, die auf die nächste Führung wartet. Unser Guide ist ein etwa 70 jähriger, agiler Mann, mit einer Leidenschaft für Pflanzen, besonders für die tödlichen. Mit strahlenden Augen erzählt er uns davon, wie die vielen giftigen Pflanzen, die hier wachsen, in der Geschichte der Menschheit schon eingesetzt wurden, um Feinde, Verräter oder Liebhaber umzubringen. Er hat eine nach der anderen Geschichte auf Lager und die Begeisterung, die er ausstrahlt, bringt mich zum Schmunzeln. Wir entkommen dem Poison Garden heile und ohne Vergiftung und steuern direkt auf die Kantine zu, die einen erstaunlich guten Eindruck macht. Mac and Cheese und frischer Salat bestätigen diesen. Rundum zufrieden lassen wir die Gärten hinter uns, steuern die Burg direkt an, biegen dann doch noch einmal ab. Durch eine kleine Pforte gelangen wir in einen Garten, der uns nun fast noch mehr fasziniert. Hier wachsen keine seltenen Rosen oder giftige Kräuter, dafür stecken Rote Bete, Salatköpfe, Möhren und Kartoffeln ihre Köpfe aus der Erde. Der Community Garden wird von verschiedenen Schulklassen, Rentnergruppen und Vereinen betreut, die mehr über den Gemüseanbau lernen wollen. Es geht doch nichts über den Genuss von selbst angebautem Gemüse! Sofort stellen wir Überlegungen an, was wir wohl wie am besten auf dem kleinen Londoner Balkon anbauen könnten. Die Burg ist fast vergessen und wir kommen nur bedingt an sie heran. Der Eingang ist zahlenden Besuchern vorbehalten, sodass wir nur an den Seiten- und Rückmauern entlang laufen können. Wir sehen trotzdem genug, fassen das Mauerwerk bedächtigt an und freuen uns schließlich wieder im klimatisierten Van zu sitzen.
Bamburgh
Es geht weiter in den Norden, wir sind jetzt fast an der Grenze zu Schottland. Alnmouth heißt der Ort, den wir seines Strandes wegen besuchen. Schon auf der Fahrt haben sich ein paar Wolken vor die Sonne geschoben und auch am Strand ist es nun etwas kühler. Wie angenehm. Wir ziehen die Schuhe aus und laufen barfuß durch den nassen Sand, springen herum, sammeln Steine auf, fühlen uns wie Kinder. Die Weite und die Freiheit. Jeden Tag an einem anderen Ort, ohne Stress, einfach nach Gefühl. Den kleinen Regenschauer, der nun kommt, warten wir im Van ab, erfreuen uns an der frischen Luft, die die Hitze der letzten Tage aus den Sitzen, den Decken, den Kissen weht. Dann fahren wir weiter. Nach Bamburgh. Unser Schlafplatz ist schnell gefunden. Auf einem Kiesel-Sand-Parkplatz, von dem man das Meer sehen kann. Als wir uns zum Abendessen auf den Weg in den Ort und nächste Pub machen wollen, beginnen die kleinen Regenschauer zu einem großen Wasserschwall zu wachsen. Aber irgendwie hatten wir das ja erwartet - wenn man schon in England Urlaub macht. Also Regenjacken an, Kapuzen auf und dann laufen wir die kleine Landstraße hinunter, in den Ort hinein und finden schnell im nächsten Pub Unterschlupf. Nach uns schlüpfen immer mehr triefende Gestalten in den spärlich beleuchteten Barbereich. Durch unsere nassen Jacken fallen wir also nicht sonderlich auf, aber trotzdem bleibt uns der ein oder andere Blick nicht verschont: wir sind definitiv die einzigen Touristen hier. Es ist Freitagabend und man trifft sich zum Feierabendbier und um das Wochenende einzuläuten. In dem Nebenraum mit Kaminfeuer lassen wir uns deftiges Abendessen, ein paar Pints und hinterher noch Sticky Toffee Pudding (auch STP und laut Wikipedia “ English dessert consisting of a very moist sponge cake, covered in a toffee sauce and often served with a vanilla custard or vanilla ice-cream”) schmecken. Harry hat jetzt größte Freude daran mir sein Land noch einmal ‘so richtig’ vorzustellen, mit all seinen kulinarischen Highlights, die wir in London irgendwie nie essen. Ich lasse mir die süße, leicht matschige Masse schmecken und frage mich, wie die englische Küche so in Verruf geriet.Wir fühlen uns abenteuerlustig, wollen heute noch mehr erleben. Die grauen Wolken sind noch da, aber der Regen hat sich gelegt. Auf dem Parkplatz, der am Fuße von Bamburgh Castle gelegen ist, machen wir Halt. Auf der Wiese nebenan bauen sie gerade ein großes weißes Zelt auf. Vielleicht findet hier eine Hochzeit statt? Wir erklimmen den Hügel, auf dem die Burg gelegen ist. Gespannt laufen wir durch diese, schauen uns Säle, Rüstungen, alte Gemäuer und Gemälde an. Spazieren durch den Vorgarten, berühren alte Kanonen und genießen den Blick über den weiten Strand und das wilde Meer, auf dem wir vor ein paar Stunden noch schaukelten. Als wir den Hügel in Richtung Strand hinunterlaufen, kommen uns Damen in langen Kleidern und Hüten und Männer in dem typisch englischen Frack entgehen. Nun bin ich mir sicher: es muss wohl eine Hochzeit sein. Vielleicht die Tochter des Hauses, mutmaßen wir. Denn Bamburgh Castle ist nicht nur eine Sehenswürdigkeit, sondern vor allem auch Privatbesitz und wird von der Armstrong Familie noch immer bewohnt. Irgendwie verrückt denke ich, bevor ich den Sand unter den Füßen spüre und mich vom Wind leiten lasse.
Wir laufen noch einmal über den Strand, atmen die Meeresluft tief ein, ehe wir zurück zum Auto laufen und den nächsten Ort ansteuern. High Newton-by-the-sea. Wir haben online ein Restaurant entdeckt, dass hier sehr gut sein soll. Das muss es wohl tatsächlich sein, denn als wir ankommen, sind schon alle Plätze belegt. Oh well. Auf der Fahrt, kurz bevor es rechts abging, hatten wir schon einen anderen Pub entdeckt, den wir nun ansteuern. Der Van parkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite und wir stellen fest, dass wir die Nacht sicherlich gut hier verbringen können. Perfekt, denn so gibt es ganz Pints für uns beide! Der Pub ist eigentlich eine Mischung aus einem schicken Restaurant, Hotellobby - oben befinden sich ein paar Zimmer, die vermietet werden - und eben einem Public House. Es ist ebenfalls ziemlich gut besucht, aber wir ergattern noch einen Tisch am Fenster mit Blick auf die Bar und bestellen uns die Fischplatte für 2 und natürlich zwei Pints. Nach diesem Tag sind wir hungrig. Das Essen ist fabelhaft, das Bier ebenfalls. Der Nachtisch ein Gedicht. Als wir anschließend müde, satt und glücklich nur noch über die kleine Straße und ins Bett huschen müssen, zum Abschied auch noch eine Tüte mit Süßigkeiten geschenkt bekommen, ist der Tag perfekt.