Wo ist der Sommer?
London. Es regnet. Seit Tagen regnet es nur. Ich schaue aus dem Fenster gegenüber des Tisches, an dem ich sitze, sehe nur grau. Grauer Himmel über dem grauen Asphalt der Straße, die heute so still ist.
Es regnet. Seit Tagen regnet es nur. Ich schaue aus dem Fenster gegenüber des Tisches, an dem ich sitze, sehe nur grau. Grauer Himmel über dem grauen Asphalt der Straße, die heute so still ist. Der Regen fällt leicht, schwebt fast, wechselt dauernd die Richtung und hinterlässt sachte Spuren auf den Scheiben. Es fühlt sich an wie ein Tag im November. Ich trage dicke Socken und einen Pullover, der Tee in meiner Tasse wird schon wieder kalt. Aber es ist nicht November. Das Grün der Bäume, das durch das Grau blitzt, verrät es. Es ist Juli. Wir sollten in Sommerkleidern auf dem Gras im Park sitzen, Rosé trinken, vielleicht den kleinen Grill, der halb verrostet auf dem Balkon auf seinen Moment wartet, anzünden. Wir sollten uns die Sonne auf die nackte Haut scheinen lassen, den Duft von Sonnencreme und Stieleis in der Nase, auf Picknickdecken Snacks hin und her reichen, abends den Sand von unseren Füßen waschen. Stattdessen sitzen wir hier. In dem kleinen Raum mit den großen Fenstern, an denen die Tropfen hängen, den Blick auf das große Grau. Ein kleiner frischer Luftzug weht durch das halb geöffnete Fenster, die kleinen Tropfen schließen sich zusammen, werden größer, bis kleine Rinnsale an der glatten Oberfläche hinunterlaufen. Ein Gutes hat dieses Regenwetter, das Tee-Trinken, der leicht melancholische Jazz im Hintergrund. Meine Gedanken laufen. So wie der Regen an den Scheiben hinunter. Sie fließen. So schnell, dass ich Mühe habe, hinterherzukommen, um sie zumindest für einen Moment festzuhalten, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen, eine Idee, einen Sinn dazwischen zu erkennen. Mein Kopf ist so voller Gedanken. Vielleicht fühlt es sich deshalb so sehr nach November an. Nicht nur der fehlenden Sonne wegen.
Denn ist der Sommer nicht für das Gegenteil da? Sich gedankenlos treiben zu lassen, den Moment zu genießen? In zu kurzen Hosen und Flip Flops durch die trockene Stadt zu laufen, auf der Suche nach Schatten und Abkühlung? Wenn das größte Problem ist, sich auf einen Park für das gemeinsame BBQ zu einigen, die einzigen Gedanken sich um Sonnenschutzfaktor und Feierabend Pläne drehen. Haben wir nicht im Herbst, im Winter genügend Zeit, uns Gedanken zu machen? Uns in Jogginghose und Lieblingspullover tagelang auf dem Sofa zu verstecken und die Gedanken ins Rollen zu bringen. Zu tippen, bis die Finger warm sind. Ja sogar den Frühling, bevor es Sommer wird, die ersten Sonnenstrahlen auf der Nase kitzeln, gedankenversunken auf Parkbänken zu verbringen? Aber der Sommer, das sind Ferien. Ferien für den Kopf. Ich hatte mich so sehr nach dem Sommer gesehnt.
Meine Gedanken laufen. So wie der Regen an den Scheiben hinunter.
Aber der Sommer kam zu früh dieses Jahr. Im April schon kam er lässig um die Ecke, verwöhnte uns nach alter Manier, trug sein schönstes Kleid. Und in diesem Jahr, in dem die Wirtschaft und das fröhliche Gesicht zu bröckeln beginnen, war es wahrscheinlich genau das bisschen Vitamin D, das viele von uns am Laufen hielt, für Abwechslung und ein Lächeln sorgte. Also war er vielleicht gar nicht zu früh, sondern genau richtig, dieser Sommer. Aber jetzt, im Juli, als sich das Leben langsam in eine Richtung von normal bewegt, bin ich bereit für die Rosé Abende im Park und sandige Füße in der Dusche, aber der Sommer ist es nicht. Vielleicht war er einfach schon lange genug da und hat sich dann unbemerkt aus dem Staub gemacht. Wie jemand, der die Party verlässt ohne sich zu verabschieden, um sich vor den Überredungskünsten der anderen zu drücken, doch noch zu bleiben, später mit in den Club zu kommen. Vielleicht muss ich, müssen wir, das einfach so hinnehmen. Der Sommer war da und jetzt ist er es nicht mehr. Die Ferien übersprungen.
Ich schaue wieder aus dem Fenster.
Die Pfützen werden kleiner, auf der Straße wieder herumkrakelt. Der Himmel ist noch immer grau. Aber da hinten, hinter den Dächern und dem Graffiti, sieht es zumindest hellgrau aus. Vielleicht kommt er ja doch zurück, brauchte nur eine Pause. Vielleicht wird morgen ja so ein Tag, so ein fröhlich, gedankenloser Sommertag. Mit Picknickdecken und Sonnencreme. Ein Blick auf die Wetter App auf meinem Handy schürt zumindest ein bisschen Hoffnung.