Ein Roadtrip durch England - Teil 5/5
Noch eine Nacht in England. An einem Ort namens Dungeness. Der Wüste Englands, die am Wasser gelegen ist.
Noch eine Nacht in England. An einem Ort namens Dungeness. Der Wüste Englands, die am Wasser gelegen ist.
Um dorthin zu kommen, brauchen wir länger als die angegeben 2,5 Stunden. Wir stehen im Stau, hängen auf der M25, jener Autobahn, die ganz London wie eine Grenze umschließt, bewegen uns nur in Zeitlupe vorwärts. Meine Füße beginnen zu kribbeln, es ist heiß. Irgendwie schaffen wir es zur nächsten Ausfahrt, zur nächsten Service Station. Und wieder ein englischer Schmankerl. Die durchschnittliche Service Station in England ist - und ich habe auf unserem Trip einige gesehen - um Längen (!) besser als der typisch deutsche Rastplatz. Wo letzterer oft von einer Art Kiosk, der Straßenkarten, überteuerte Süßigkeiten und vielleicht vorgewürfelten Käse verkauft und einem Imbissbereich, der von Schnitzel mit Pommes über Currywurst und Pommes reicht, charakterisiert wird, wartet die englische Service Station mit einem breiteren Angebot auf. Englische Service Stations sind eher wie die kleine Variante einer Food Hall im Einkaufszentrum. Hier hast du die Wahl: Kaffee und Kuchen, Asiatisch, typisch britisch oder vielleicht doch Pizza? Außerdem gibt es oft einen kleinen Supermarkt, der nicht überteuert ist, dafür aber Produkte anbietet, mit denen man sich tatsächlich ein Abendessen kochen kann. Besuche auf englischen Raststätten machen tatsächlich Spaß. Aber genug meines Lobes. Wir holen uns ein kühles Getränk, ein paar Snacks und legen uns auf das Bett im Van, lassen Netflix auf uns einprasseln, immer die Stauanzeige auf dem Smartphone im Auge. Nach zwei oder drei Folgen - ich habe aufgehört zu zählen - scheint der Stau sich etwas zu entspannen. Und wir sind es auch, schnallen uns an, setzen die Fahrt nach Dungeness fort.
Dungeness
Der Ort ist so seltsam, wie wir ihn erwartet haben. Eine schmale, von Schlaglöchern durchzogene Straße führt an Feldern mit Strommasten, vereinzelt stehenden Häusern und einem großen weiten Nichts vorbei. Wir steuern den lokalen Pub an. Es ist es bereits Abend. Die Einheimischen stehen davor, rauchen und leeren die ersten Pints. Ein paar Kinder rennen einem Ball hinterher. Es ist Freitag und das Wochenende wird eingeläutet. Wir halten auf dem Parkplatz, auf dem man nach seinem Pub-Besuch offiziell übernachten darf. Dahinter liegt die Wüste, der große Kieselstrand. Und dahinter irgendwo das Meer. Wir sind zu müde, um dem Rauschen heute noch zu folgen und freuen uns, dass wir einen Tisch in dem gut besuchten und lebhaften Pub finden. Wir nehmen im Familien-Teil Platz, der mit Maltisch und ohne Bar. Zum Bierholen bahnen wir uns den Weg in den anderen Teil. Von überall kreischt es, Pommes und Fischstäbchen fliegen durch die Luft. Uns macht es nichts. Am letzten Abend soll es noch einmal so richtig englisch sein und die Speisekarte ist vielversprechend. Fish and Chips, Wellington, Pints und Sticky Toffee Pudding. What’s more to ask? Mit vollen Bäuchen fallen wir ins Bett, das entfernte Rauschen des Meeres in den Ohren.
…
Der nächste Morgen ist warm. Im Van ist es warm, Shorts und T-Shirt angezogen und ich reiße die Türen auf. Dann laufen wir zum Wasser hinunter. Der Kieselstrand, die Wüste, scheint endlos. Ich lasse die kleinen Wellen, die an den Strand rollen, über meine nackten Füße streichen, blicke nur zu Boden und suche nach den schönsten der beige-, braun- und weißfarbenen Steinen und Muscheln. Wenn ich meinen Blick hebe, sehe ich nicht viel. Mehr Kiesel, Strommasten in der Ferne und Wracks alter Holzboote. Wir entfernen uns vom Wasser, gehen dichter an diese heran. Es scheint wie ein Filmset. Irgendwie ein bisschen gruselig, irgendwie schön in dem frühen Morgenlicht. Irgendwie unwirklich. Dann melden sich die deutsche Vernunft und mein Magen: Wir müssen heute noch eine Fähre nehmen und davor unbedingt noch frühstücken. Langsam balancieren wir wieder zurück in Richtung Parkplatz, die warme Sonne im Gesicht.
Der Kieselstrand, die Wüste, scheint endlos.
Als wir am Fährhafen von Dover ankommen, fällt mir das große Banksy-Kunstwerk auf. Auf der Hinfahrt war es nicht in unserem Sichtfeld - oder ich war zu sehr mit dem Linksverkehr beschäftigt. Auf einer Hauswand prangt eine die große blaue Flagge. Darauf die 12 gelben Sterne der europäischen Union. Ein Handwerker steht auf einer Leiter, Hammer und Meißel in der Hand. Der 12. Stern bröckelt. Brexit. Ich starre darauf. Für einen Moment rollt eine kleine Welle Traurigkeit, Fassungslosigkeit und Unverständnis an. Der Brexit war das Letzte, an das ich in den vergangenen zwei Wochen gedacht habe. Obwohl er so nah war, obwohl er Realität wird. Niemand scheint wirklich stolz, voller Vorfreude. Jeder weiß bereits, dass man es im Team viel weiterschafft, als als Einzelgänger. Alle haben ihre fingers crossed für einen guten Deal. Auch ich kann nur hoffen, meine Finger kreuzen.
…
Die weitere Rückreise ist relativ entspannt und unspektakulär. Dieses Mal sind wir besser auf die Fährfahrt vorbereitet und haben unsere eigenen Snacks dabei. In Calais angekommen, gewöhnen wir uns schnell wieder an den Rechtsverkehr. Wir verbringen die Nacht in einer kleinen Nebenstraße irgendwo in Holland, sind plötzlich wieder in Hamburg und laden den Van aus. Schmeißen unsere Klamotten in die Waschmaschine und uns aufs Sofa, wollen noch einen Moment am Urlaub festhalten, noch nicht an Büro und Arbeit denken. Auch in Hamburg scheint die Sonne und wir setzen uns auf eine der Bänke vor dem Pizzaladen um die Ecke und erzählen uns von unseren Lieblingsmomenten unserer Reise, halten noch an dem letzten Moment fest.
Reisefazit
In der Rückschau, sowohl am Abend der Rückkehr als auch jetzt, fast ein Jahr später als ich meinen Reisebericht fertigstelle, kann ich sagen, dass dies einer der schönsten Urlaube war, den ich je unternehmen durfte. Eine große Rolle spielten dabei natürlich der Van und die damit verbundene Freiheit und Spontanität, genauso wie das gute Wetter. Bei Sonne ist ja fast alles besser. Und trotzdem: England hat mich mitgerissen. Erst habe ich mich in einen Engländer, jetzt in das ganze Land verliebt. Freundliche Menschen, eine unglaublich vielseitige Natur, überraschend gutes Essen, Tea Rooms und Scones und natürlich, ich lasse es mir nicht nehmen sie hier noch einmal zu erwähnen: die Pub-Kultur. Keinen der Orte, die wir besucht haben, möchte ich missen. Jeder von ihnen war großartig. Trotzdem, nein gerade deswegen, wäre es schön gewesen, an einigen etwas mehr Zeit zu verbringen. Eine längere Wanderung am Hadrianswall zu machen, den Lake District National Park noch weiter zu erkunden. Auch Cambridge und Oxford haben mir unglaublich gut gefallen und ich hätte die Städte gerne noch länger erkundet. Aber alles geht eben nicht. Am Ende hatten wir einen wunderbaren Urlaub. Genau das richtige Verhältnis von Stadt und Natur, der Dauerregen blieb aus und wir konnten es uns einfach gut gehen lassen. Dazu war es wirklich leicht Plätze zum Übernachten zu finden, sodass wir kein einziges Mal einen Campingplatz aufsuchen mussten und dadurch einiges an Geld sparen konnten.
Für den Fall, dass du jetzt Lust bekommen hast, auch mal die britische Insel abseits von London zu erkunden, ein paar Tipps, die ich mir für unsere nächste Reise merke: geh abseits der üblichen Touri-Routen, lass dir ein Bier vom Barkeeper empfehlen, iss so viele Scones wie möglich, alte Pubs sind gute Pubs, lass dich nicht von Speisekarten abschrecken, probier dich einfach durch, bezahle beim Parken immer lieber etwas mehr - es lohnt sich!
Reiseroute
Hamburg - Belgien - Calais / Frankreich
Calais - Dover / England - Canterbury - Margate
Margate - Whitstable - Cambridge
Cambridge - Leeds - York
York - Newcastle - Alnwick Castle - Bamburgh
Bamburgh - High Newton-by-the-Sea
High Newton-by-the-Sea - Hadrianswall - Buttermere
Buttermere - Grasmere - Kendal
Kendal - Idlicote - Oxford - Dungeness
Dungeness - Dover - Calais - Niederlande - Hamburg