Ein Roadtrip durch England - Teil 1/5

Als es Ende Juli losgehen soll, sowohl Wanderstiefel, als auch Badeanzug, dicke Pullover und kurze Hosen, Bettdecken und Snacks in den Bulli geräumt sind, spielt auch das Wetter mit. Strahlend blauer Himmel in Hamburg, let’s go.

Dreamland Margate
↳ Dreamland, Margate, UK
Wie entscheidet man sich, wo man im nächsten Sommer seinen Urlaub verbringt? Wetter, Aktivitäten, die Urlaubsfotos deiner Freunde auf Instagram? Alles Faktoren, die eine Rolle spielen. Als Harry und ich im Frühjahr 2019 damit begannen, uns Gedanken über unseren Sommerurlaub zu machen, zählte bei uns vor allem auch die Erreichbarkeit mit unserem ausgebauten VW Transporter, liebevoll Catcher on the Road genannt, mit rein. Nicht, dass das die Auswahl großartig einschränkte. Und so waren viele europäische Länder im Gespräch. Frankreich, Slowenien, Schweden… und auf meiner Seite auch England. Wo ich schon begeistert an saftig grüne Hügel mit Schafen drauf, deftige Pub Lunches und viele Scones in cozy tea rooms dachte, stand auf Harrys Seite erst einmal die Sorge vor 14 Tagen Dauerregen. Und vielleicht auch ein bisschen dieses komische Gefühl, das bestimmt jeder von uns kennt: die Unlust im eigenen Land zu verreisen, à la “wenn ich schon Urlaub mache, dann…”, das Klischee im Kopf, man müsse die Grenze übertreten, um etwas zu erleben. Irgendwie haben wir uns dann doch auf England geeinigt. Und dank des Bullis, hatten wir schließlich immer noch die Möglichkeit, bei grausigen Wettervorhersagen doch gen Süden zu fahren. Mit dem Fällen der Entscheidung setzten wir uns an den Tisch, begannen zu überlegen, wo wir gerne hin, was wir machen, was wir sehen wollten und bastelten das Ganze zu einer Route zusammen, die Freiraum für Abweichungen und Spontanität ließ. Ein wenig Struktur, aber keinerlei Vorgabe. Wir buchten keine Campingplätze, Ausflüge oder Sonstiges. Einzig und allein das Ticket für die Fähre kauften wir. Wir wollten den Wasserweg zur Insel nehmen.

Bei der Recherche fielen mir vor allem drei Dinge auf:

Erstens:

Es gibt unglaublich viele Burgen in England. Einschließlich Alnwick Castle, wo übrigens die Flugstunde im ersten Harry Potter Film gedreht wurde. Zack, das kam auf die To Do Liste.

Zweitens:

Es gibt unglaublich viele National Parks in England. Dass es einige gab, wusste ich, aber nicht, dass England voll davon ist. Und spätestens nachdem man “Lake District National Park” in die Ecosia Bildersuche eingibt, fragt man sich schnell, wie man es überhaupt in Erwägung ziehen konnte, sich am Strand von Malle & Co. mit Sangria zu begießen.

Drittens:

England ist tatsächlich wesentlich kleiner als Deutschland. Das bedeutet, dass man es in zwei Wochen schaffen kann, ganz entspannt von Süden nach Norden und wieder zurückfahren, auch wenn man keine Lust auf lange Autofahrten hat. Perfekt für uns.

Bulli Lake District National Park
↳ Lake District National Park

Let’s go to England

Die Sonne strahlt vom knallblauen Himmel, als es Ende Juli losgehen soll. Ich schmiere mir noch schnell etwas Sonnencreme auf die Nase, als wir Wanderstiefel, Badeanzug, dicke Pullover und kurze Hosen, Bettdecken und Snacks in den Bulli räumen. Ein bisschen übereifrig vielleicht, denn als wir die Stadtgrenze gerade hinter uns lassen, die Fenster heruntergekurbelt haben, laut zur ersten CD singen, nimmt das Wetter allerlei dramatische Wendungen an. Von gleißender Sonne zu Hagel und Sturm, von 26 zu 16 Grad. Unsere Laune trübt es allerdings nicht im Geringsten. Wir essen klebriges Stieleis auf Rastplätzen, freuen uns auf Reisen zu sein. Und zum Ende des Tages klärt auch der Himmel wieder auf.

Wir sind beide keine Autofahr-Fanatiker und finden, Strecken ab 6 Stunden können im Notfall, sollten im Urlaub aber definitiv nicht gefahren werden. Daher war es für uns von Beginn klar, nicht in einem fort nach Calais, von wo die Fähre nach Dover, England, führt zu fahren, sondern die Strecke auf zwei Tage aufzuteilen. Und so suchen wir uns gen Abend, als wir die Niederlande mit ihren schnurgeraden Autobahnen bereits hinter uns gelassen haben, den ersten Platz für die Nacht. Irgendwo am Rande einer kleinen Gemeinde, mitten in Belgien. Zwischen Bäumen und Feldern machen wir es uns das erste Mal so richtig gemütlich. Stellen die neuen Klappstühle auf, öffnen ein zwei Dosen Bier, verteilen die Reste aus dem Hamburger Kühlschrank auf dem kleinen Campingtisch, kommen im Urlaub an. So schnell geht das.

Die erste Nacht im Bulli ist immer etwas gewöhnungsbedürftig. Nicht wegen des Bettes, denn bequemer als dieses geht es wohl nicht. Einfach der Nähe zur Natur wegen. Zu hören, wie die leiseste Sommerbrise durch die Baumwipfel fährt, wie Vögel sich gut Nacht sagen. Ich bilde mir ein, auch die Insekten auf dem Waldboden krabbeln hören zu können. Das ist so schön und so eine Abwechslung vom Stadtleben, wo man abends im Bett Leute auf der Straße rumkrakelen, die Nachbarn Sex haben oder eine Party feiern hört und einfach lautstark das Fenster zuschlagen möchte. Hier ist die Ruhe laut. Und das ist erst einmal gewöhnungsbedürftig. Es ist so ruhig, dass ich fast nicht schlafen kann, vielleicht bin ich aber auch nur aufgeregt. Aber nach einer Nacht, vielleicht nach zwei, werde ich mich an die laute Stille gewöhnt haben und die Nähe zur Natur einfach genießen können.

Die Sonne im Nacken und ein buttriges Croissant auf der Zunge. So sitzen wir am nächsten Morgen auf einem französischem Rastplatz, nicht weit von Calais, genießen das zweite Frühstück und einen Automatenkaffee. Wir sind gestern weiter gefahren als ursprünglich geplant und kommen heute schnell in Calais an, folgen den vielen Schildern, die den Fährhafen ausweisen. Ein merkwürdiger Ort, der von eben diesem Hafen bestimmt wird. Ich habe den Eindruck, etwas anderes gibt es hier nicht. Einen Strand vielleicht, der mit Fähren, LKW und Autos im Hintergrund allerdings nicht unbedingt zum Baden einlädt. Aber vielleicht gucke ich auch nicht richtig. Wir begeben uns durch die zweifache Passkontrolle, lassen den Bulli widerstandslos kontrollieren und stellen uns dann auf den Warteplatz, der uns vorgegeben wird. Da wir relativ pünktlich sind - die deutsche Pünktlichkeit lässt sich nicht abschütteln - , haben wir noch etwas Zeit auf dem Fährterminal herumzulaufen, um zu erkunden. Nicht, dass es viel zu erkunden gäbe (eine öffentliche Toilette, einen Automaten mit Snickers und Pringles, einen kleiner Shop mit überteuerten Wasserflaschen und Straßenkarten). Aber diese Art von Orten sind ja immer wie eigene kleine Welten, genau wie Flughäfen hinter der Sicherheitskontrolle. Zumindest kommt es mir so vor. Nur du und eine ausgewählte Anzahl anderer Personen sind im gleichen Moment dort und geben bereitwillig viel Geld für etwas aus, das sie im echten Leben nur zögerlich kaufen würde. Siehe Mini-Pringles Packung. Und das zu beobachten, ist erst ja schon irgendwie interessant. Nach der kleinen Erkundungstour, begeben wir uns zurück zu unserem Auto, machen es uns auf dem Bett mit Netflix gemütlich, bis sich irgendwann die ersten LKW in Bewegung setzen und wir nach vorne auf die Vordersitze krabbeln, den Schlüssel im Zündschloss drehen und langsam auf die Fähre fahren.
Van breakfast
↳ Frühstück, irgendwo in Belgien
Alte Hasen im Fährfahrbusiness wissen jetzt genau, was zu tun. Nämlich so schnell wie möglich auf die Passagierdecks und zu den Restaurants zu hechten. Wir gehören nicht zu diesen alten Hasen. Als wir noch gemächlich die Treppen hochsteigen und uns überlegen, welches der bestimmt sieben gastronomischen Angebote wir in Anspruch nehmen möchten, stehen sie schon Schlange. “Absolute carnage”, sagt Harry. Und das ist es tatsächlich. Die Leute stehen an, als gäbe es etwas for free und nicht überteuerte Burger mit schlaffen Salatblättern und labbrige Pommes. Wir entscheiden uns für etwas Englisches, um uns schon einmal einzustimmen: es gibt vegetarischen Pie, Chips und HP Sauce. Außerdem ist hier die Schlange kürzer. Nach 1,5 Stunden Überfahrt und mehr oder weniger spektakulären Blicken auf die “White Cliffs of Dover” durch die verkratze Sicherheitsscheibe, legen wir an, folgen den Menschenmassen die Treppen hinunter, fahren von der Fähre. Jetzt heißt es: Achtung Linksverkehr! Ich bin beeindruckt - und vielleicht ein bisschen überrascht -, wie gut organisiert England ist. Überall weisen Schilder auf eben diese Änderung und das Geschwindigkeitsmaß hin. Wir fahren jetzt miles per hour, nicht mehr Stundenkilometer, fahren im Kreisverkehr links und nicht mehr rechts herum.
Canterbury Church
↳ Canterbury
Canterbury Flowers
↳ Canterbury

Canterbury & Margate

Nach nur etwa 30 Minuten Fahrt kommen wir an unserem ersten Ziel an: Canterbury. Als ich den Namen der kleinen Stadt bei unserer Recherche auf der Karte sah, erinnerte ich mich wieder vage an den Englischunterricht der fünften Klasse, an die Tales of Canterbury und setzte das erste Kreuz genau hier. Schön ist es hier. Kleine Straßen mit kleinen Häusern, der Fluss Stour, eingebettet zwischen bunten Blumen, auf denen Leute umher paddeln und sich die Haut unter der Mittagssonne verbrennen. Die große Kathedrale, die Stadtmauer. Zwischendrin Cafés und Restaurants, die einladend aussehen. Wir laufen einfach so herum, können es gar nicht glauben, angekommen zu sein, kriegen das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Dann legen wir uns für eine Weile auf eine der grünen Wiesen direkt am Fluss, es ist so ruhig und schön hier.

Dann geht es weiter, das nächste Ziel heißt Margate. Über den Ort weiß ich nur, dass er früher florierte, herunterkam und nun unter Londoner Hipstern, die der Stadt entkommen möchten, als Wohnort schlechthin gelten soll. Margate ist am Meer gelegen. Wir fahren an der Promenade entlang, eine Straße hoch, vorbei an großen Stadthäusern, dessen früherer Charme sich noch erahnen lässt. Finden einen Parkplatz an der Straße, der auch unser Übernachtungsort werden soll. Nicht so schön wie zwischen den Baumwipfeln Belgiens, aber das macht uns nichts. Wir laufen die Straße hinunter, am Wasser und den Graffitis an den Kaimauern entlang. Die Sonne steht tief, ist immer noch warm. Wir setzen uns bei GB Pizza (Great British Pizza; oh my, die Pizza ist wirklich great!) ins Fenster, teilen uns zwei, dann noch eine dritte Pizza und genießen Rosé on tap. Vergessen alles, was gestern noch war, sind nur wir zwei in diesem Moment. Langsam versinkt die Sonne im Meer, hinterlässt nur einen rosa Schimmer am Horizont. Was für ein perfekter Tag.

Dreamland, Margate
↳ Dreamland, Margate
Rollercoaster Dreamland, Margate
↳ Rollercoaster Dreamland, Margate
Buntes Dreamland, Margate
↳ Rollercoaster Dreamland, Margate

Am nächsten Morgen lassen wir es uns nicht nehmen, Dreamland zu besuchen. Der Freizeitpark aus den 1920er Jahren, über dem die große alte Holzachterbahn schwebt, war Anfang des Jahrhunderts eine der Attraktionen schlechthin in Kent, der Gegend, in der wir uns gerade aufhalten. Vielleicht sogar in ganz England. Nachdem die Engländer in den 1970er und 80er Jahren begannen, ihre Urlaubstage lieber im Ausland zu verbringen, statt heimische Freizeitparks zu besuchen, litt auch Dreamland. Als der Park 2003 schließlich die Tore schließen musste und Pläne für Wohngebäude laut wurden, schafften es Fans mit ihrer “Save Dreamland” Kampagne jedoch genügend Gelder einzuholen, sodass der Park nach einigen Restaurierungsarbeiten im Sommer 2015 wieder eröffnen konnte.

Ich bin froh, dass sie es getan haben. Denn obwohl ich kein Fan von modernen Freizeitparks, schnellen Fahrgeschäften oder ähnlichem bin, ist Dreamland doch ganz anders, etwas Besonderes. Das viele Holz, die Atmosphäre der 20er, die immer noch zu spüren ist, die alten Spielautomaten. Softeis und Pacman. Wir sind an einem Montag dort, die Sonne brennt vom Himmel, ein paar Familien schlendern durch den Park, Schülergruppen finden sich im Schatten der Sonnenschirme zusammen, ansonsten ist nicht besonders viel los. Ich überwinde meine Höhenangst und wir kaufen Tickets für das hübsche Riesenrad mit den pastellfarbenen Gondeln. Von hier oben hat man einen wunderbaren Blick über Dreamland, Margate und das Meer. Im Zentrum des Freizeitparks befindet sich ein große Wiese mit einer Bühne, umgeben von einer grünen Erhöhung mit Bänken - wie in einem Capitol - bunten Sonnenschirmen, Essensständen. Laut Plakaten wird das Gelände im Frühling und Frühsommer oft für Festivals und Konzerte genutzt. Ich kann mir gut vorstellen, wie die angeblichen Margate Hipster, von denen ich bisher übrigens noch keinen gesehen habe, sich den Technobeats hingeben. Nachdem wir einmal über das gesamte Gelände spaziert sind, das beste Grilled Kimchi & Cheese Sandwich überhaupt gegessen haben, läuft unser Parkticket so langsam ab und wir machen uns auf den Weg zurück zum Van und zum nächsten Ziel.

Dreamland, Margate
↳ Dreamland, Margate

Wie man durch England reist, ohne Campingplätze aufzusuchen

Auf unserer gesamten Reise haben wir kein einziges Mal auf einem Campingplatz übernachtet. Wir haben immer einen Ort gefunden, wo wir uns für eine oder auch zwei Nächte mit unserem Bulli hinstellen und (meistens) in Ruhe schlafen konnten. Die Orte fanden wir vor allem über die App “Park4Night”. Die kostenlose App ist eine echte Herzensempfehlung für alle, die campen, roadtrippen, oder sonstig umher reisen. Auf einer Karte wird dir genau angezeigt, wo sich Orte, Park- und Rastplätze oder Ähnliche befinden, auf denen man sich für eine Nacht hinstellen kann. All diese Orte werden von Gleichgesinnten dort eingetragen, mit Bildern, Informationen und Bewertungen versehen. So kann man sich recht schnell und gut einen Eindruck machen, ob der Übernachtungsort für einen selbst infrage kommt. Wir haben es mit unserem Bulli, der ohne Hochdach und Fenster im hinteren Bereich von außen eher wie ein Catering Van aussieht, recht einfach. Für größere Wohnmobile, müsste man etwas genauer auf der Karte suchen, denke ich. Aber auch für sie gibt es viele Orte, die man für eine Nacht zum Übernachtungsort machen kann. Natürlich versteht es sich von selbst, umliegende Häuser nicht zu stören und seinen Müll zu entsorgen.

Wir hatten zwar eine Campingdusche dabei, die jedoch auf dieser Reise nicht zum Einsatz kam. Stattdessen entdeckten wir an unserem ersten Morgen in England die App “Hussle”. Diese zeigt dir Fitnessstudios in deiner Nähe an, für die du einen Tagespass buchen kannst. Oft gibt’s die schon ab gerade einmal £3, je mehr (Wellness-)Angebote das Studio hat, desto teurer ist der Tagespass. Für uns war es eine super Möglichkeit nicht nur entspannt zu duschen sondern auch viele Tage mit einem kleinen Workout oder Run auf dem Laufband zu starten. Viele Studios sind mittlerweile so modern, dass die Duschen sowieso ansprechender sind, als auf den meisten Campingplätzen. Die vielen Pubs, Tearooms und Cafés, die wir besuchten, boten eine super Gelegenheit, um auf Toilette zu gehen. Ich war wirklich begeistert, wie sauber und gepflegt diese überall waren. Sogar die öffentlichen im Stadtzentrum! Ein Hoch auf englische Toiletten! Im Notfall klappt es aber auch am Waldrand. ;)

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